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Die digitale Disruption und ihre realen Konsequenzen (Teil 1)

Roland Alston, Appian
April 4, 2019

Mike Wade, Professor of Innovation and Strategy am IMD, Lausanne, Schweiz

(Dies ist die erste Folge einer zweiteiligen Serie mit Mike Wade @mwade100, Autor vonDigital Vortex: How Today's Market Leaders Can Beat Disruptive Competitors at Their Own GameundOrchestrating Transformation.In dieser Serieklärt Wade darüber auf, wie Unternehmen mit digitaler Disruption umgehen und eine erfolgreiche Strategie der digitalen Transformation umsetzen können - Fragen, die gerade heute von grofler Bedeutung sind.)

Im Internet finden sich viele schaurige Geschichten über die Disruption, die grofle Unternehmen schneller als je zuvor zu Fall bringt. Tatsächlich beträgt die Lebenszeit eines S&P500-Unternehmens laut Credit Suisse heute weniger als 20 Jahre, wohingegen es in den 1950ern noch 60 Jahre waren.

Von Produkten und Dienstleistungen bis hin zur gesamten Wertschöpfungskette - alles wird von den Disruptoren digitalisiert. In dieser volatilen Umgebung zu überleben und erfolgreich zu sein erfordert eine gelungene digitale Transformation. Hier kommt Michael Wade ins Spiel,Professor of Innovation and Strategy an der IMD Business School in Lausanne in der Schweiz und Director des Global Center for Digital Business Transformation des IMD.

Leser unserer Serie profitieren von Wades langjähriger Recherche und den vielen Gesprächen, die er mit Tausenden Angestellten in leitenden Funktionen geführt hat. Er erklärt, warum Unternehmen sich nicht auf traditionellem Wege transformieren lassen und gibt pragmatische Tipps, wie Unternehmen agiler werden können, um Bedrohungen vorauszusehen, Gelegenheiten zu erkennen und Nutzen aus derDisruption zu ziehen, bevor die Konkurrenz es tut.

Viel Spafl mit unserem Interview.

Appian: Erklären Sie uns kurz, worum es sich beim IMD und dem Digital Business Research Center handelt.

Wade: Das IMD ist eine Business School, eine Wirtschaftshochschule, in der Schweiz. Wir konzentrieren uns fast ausschliefllich darauf, Führungskräfte zu schulen. Es kommen also ein paar Tausend Führungskräfte jedes Jahr zu uns, um an kompakten Schulungen zu den Themen Strategie, Marketing und Leadership teilzunehmen. Meine Aufgaben drehen sich zu einem groflen Teil um unsere Programme zur digitalen Transformation. Ich leite auflerdem das Research Center, das Sie angesprochen haben.

Appian: Sie haben mit Tausenden Führungskräften gesprochen. Was sagen die zur digitalenDisruption? Sind sie besorgt, skeptisch?

Wade: Nicht mehr so wie früher. Als wir vor vier Jahren mit unserer Arbeit begannen, waren die Führungskräfte neugierig und wollten mehr über die Disruption lernen. Sie hatten davon gehört und die Auswirkungen von Uber und Amazon mitbekommen. Sie wollten also mehr darüber erfahren, wie die Disruption sich auf ihre eigenen Unternehmen auswirken könnte. Aber sie waren vorsichtig. Und das hat sich in den letzten zwei Jahren ganz schön verändert.

https://twitter.com/mwade100/status/1110907087012417543

Appian: Könnten Sie das näher erläutern?

Wade: Wir müssen sie nicht mehr davon überzeugen, dass die Disruption eine Bedrohung wie auch eine Chance sein kann. Wir müssen sie nicht mehr davon überzeugen, dass eine Transformation notwendig ist. Das sind keine Fragen mehr, mit denen sie zu uns kommen. Es geht jetzt eher darum, wie die Transformation gelingen kann.

Appian: Skeptische Stimmen kommen Ihnen also eher nicht unter?

Wade: Nein, die Führungskräfte wissen, dass sie sich um Transformation und Wandel kümmern und sich anpassen und agiler werden müssen. Sie wissen nur nicht wie. Heute geht es also besonders um Fragen der Umsetzung und Ausführung. Und damit verbringen wir mittlerweile den Groflteil unserer Zeit. Wir helfen Führungskräften zu verstehen, wie sie mit den Chancen und Bedrohungen der digitalen Disruption umgehen können.

Mehr Führungskräfte sind sich der Disruption bewusst

Appian: Es hört sich so an, als wäre man heute viel weniger skeptisch als in der Vergangenheit.

Wade: Ich würde sagen, dass das nicht überall so ist. Es gibt immer noch genug Führungskräfte, die skeptisch sind, und auch guten Grund dazu haben, denn das Thema wird ganz schön gehypt. Wer klug ist, versucht herauszufinden, was digitale Transformation konkret bedeutet.

Appian: Das bringt mich zu meiner nächsten Frage. Ich war fasziniert von den Argumenten in Ihrem Buch (Digital Vortex and How Today's Market Leaders Can Beat Disruptive Competitors at Their Own Game). Was hat Sie dazu motiviert, das Buch zu schreiben, und was sollten Führungskräfte aus Ihrer Studie mitnehmen?

Wade: Die Studie ist im Grunde ein Vergleich der Haltungen zur digitalen Transformation in einem Zeitraum von zwei Jahren. Dabei wird deutlich, dass sich die Haltung von Führungskräften zur digitalen Disruption zwischen 2015 und 2017 wirklich stark verändert hat. 2015 wirkte sich die digitale Disruption noch kaum auf Unternehmen aus, abgesehen von Branchen wie dem Einzelhandel, der Medienwirtschaft oder der Telekommunikation.

2017 sah das schon anders aus. Manchmal bekamen Führungskräfte die Disruption ganz deutlich zu spüren, manchmal war es eher eine diffuse Ahnung. Auf jeden Fall änderte sich ihre Haltung. Wir haben Führungskräfte zum Beispiel danach gefragt, wann sie erwarteten, die Auswirkungen der digitalen Transformation zu spüren zu bekommen.2015 glaubten nur 15%, dass die digitale Transformation bereits im Gange sei. Zwei Jahre später stieg diese Zahl auf 49%. Fast die Hälfte der Führungskräfte dachte also, die digitale Transformation finde in diesem Moment statt. Das ist eine grofle Veränderung.

https://twitter.com/dbt_center/status/1105203285043097603

Appian: Was hat Ihre Recherche noch ergeben?

Wade: Wir haben auch danach gefragt, wie einschneidend die Auswirkungen der Disruption werden würden, und weniger als ein Prozent dachte, die Disruption würde sich als transformativ erweisen. 2017 stieg diese Zahl auf 31%. 2015 glaubten nur 23%, dass die Auswirkungen minimal sein würden. 2017 waren es nur noch 4%.

Appian: Was sagt Ihnen dieser Sinneswandel?

Wade: Nun, ich würde sagen, digitale Disruption wurde definitiv mehr in den Medien besprochen. Es ist kaum möglich, eine Zeitung aufzuschlagen oder ins Netz zu gehen, ohne etwas über die Disruption zu lesen. Also, ich glaube, Disruption wird einem mehr "vor die Nase gehalten" als je zuvor. Führungskräfte sehen jetzt also die realen Auswirkungen.

2015 bekamen einige Branchen die Disruption noch nicht wirklich zu spüren - Branchen wie die Pharmaindustrie und Life Sciences, die Automobilindustrie und die Versorgungswirtschaft, ÷l und Gas. Aber heute werden die Auswirkungen auf diese Branchen immer deutlicher und auch sie werden in den "digitalen Wirbel" gezogen, den "Digital Vortex", nach dem mein Buch benannt ist.

Appian: Was ist der "Digital Vortex"? Brechen Sie es für Führungskräfte aus nicht technischen Bereichen herunter.

Wade:Der "Digital Vortex" beschreibt den Ort, an dem die digitale Disruption in äuflerstem Mafle spürbar wird.

https://twitter.com/mwade100/status/748187049014988800

Appian: Sie schreiben auch über die nächste Welle der Disruption. Was meinen Sie damit?

Wade:In der ersten Welle der Disruption ging es meiner Meinung nach um Produkte und die Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen. Was wir jetzt sehen, ist eine zweite Welle, in der es eher um die Digitalisierung von Geschäftsmodellen, Prozessen und der Wertschöpfungskette geht. Und diese Welle erfasst alle Unternehmen.

Besonders schwierig und besonders notwendig: die Transformation der Organisation

Appian: Was kommt als Nächstes auf uns zu?

Wade: Im Rahmen dieser zweiten Welle werden sich Unternehmen in allen Branchen entweder einer reellen Gefahr oder einer neuen Entwicklungschance gegenübersehen. Das wird die nächste grofle Veränderung sein.

Appian: Wie steht dieser Umschwung in Verbindung zu neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz, maschinellem Lernen und der Blockchain?

Wade: Die Veränderungen werden ganz klar von diesen neuen Technologien angestoflen. Einige stechen dabei deutlicher als treibende Kräfte heraus als andere. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass die Technologie diesen neuen Prozess nur animiert- sie allein macht jedoch nicht die Transformation aus.

Appian: Könnten Sie das näher erläutern?

Wade: Die meisten Organisationen merken früher oder später selber, dass es keine bedeutende Hürde für sie darstellt, sich neue Technologien zu besorgen. Problematischer ist die Transformation der eigentlichen Organisation, das heiflt der Prozesse, Strukturen, Menschen, Kultur- alles was sich ändern muss, damit das Unternehmen sich an die neue Realität anpassen kann. Das ist der Knackpunkt für Unternehmen.

Appian: Das ist auch eine gute ‹berleitung zur nächsten Frage. Bitte erzählen Sie uns mehr darüber, wie die digitale Transformation und Disruption sich auf den Menschen und die Belegschaft als Ganzes auswirken können. Welche Transformation muss innerhalb der Belegschaft im Rahmen der digitalen Disruption stattfinden?

Wade: Die Menschen werden auf jeden Fall Veränderungen erleben- und das sowohl auf Makro- als auch auf Mikroebene. Wir sehen heute bereits, dass die sogenannte Gig-Economy sich immer weiter ausdehnt. Das bedeutet, dass immer mehr Menschen freiberuflich tätig sind anstatt in Vollzeitarbeit. Das wäre der Makrotrend.

Aber wir sehen auch bereits Veränderungen auf Mikroebene. Es werden neue Arbeitsprozesse rund um die digitalen Technologien implementiert. Einige können bei diesem Wandel nicht mitziehen. Wer sich als Unternehmen auf dieses Szenario vorbereiten möchte, muss jetzt viel Zeit und Energie darin investieren, seine Belegschaft über die Disruption und ihre Konsequenzen aufzuklären. Sie können betroffenen Mitarbeitern jetzt helfen, neue Fähigkeiten zu erlernen und entsprechende Tools einzusetzen, damit sie produktiv bleiben können.

Vorsicht vor nachlässigem Verhalten

Appian: Das hört sich alles recht plausibel an.

Wade: Aber ich höre immer wieder, wie Führungskräfte sich darüber beschweren, dass ihre Belegschaft den Wandel nicht umsetzt. Das mag sein, aber ich bin der Meinung, dass die Verantwortung dafür eher bei den Führungskräften als bei den Mitarbeitern liegt, da erstere Systeme in ihrer Organisation einrichten, die nachlässiges Verhalten belohnen.

Appian: Aus der Perspektive der Organisation geht es beim Wandel also darum, die richtigen Anreize zu setzen.

Wade: Ja, wenn die Belegschaft sich wirklich ändern soll, reicht es nicht, ihr neue Kompetenzen für die Zukunft beizubringen. Die Organisation muss auch angepasst werden, damit Mitarbeiter einen Grund haben, mitzuziehen.

Disruption: ein Thema, das auch Büro- und Fachpersonal etwas angeht

Appian: Wir haben über die Auswirkungen von Technologie auf manuelle Tätigkeiten gesprochen. Doch wie wird die digitale Transformation sich auf die Arbeit von Menschen auswirken, die keiner manuellen Tätigkeit nachgehen? Und wird dies, wenn überhaupt, schon bald oder erst in ferner Zukunft relevant sein?

Wade: Das ist eine gute Frage. Ich sehe tatsächlich, dass die Disruption sich auf die nicht manuellen Tätigkeiten auswirkt. Im Zuge der ständigen Weiterentwicklung von Maschinen, die menschliche Aufgaben mit immer gröflerem Erfolg erledigen, steht es aufler Frage, dass die digitale Transformation Jobs, die mit keiner manuellen Tätigkeit verbunden sind, verändern wird, gerade was die Fortschritte im Bereich Deep Learning angeht (Computer, die ohne menschliche Aufsicht lernen). Es wird also eine Disruption in diesem Bereich (der nicht manuellen Tätigkeiten) stattfinden, und sie wird schneller stattfinden als je zuvor.

https://twitter.com/mwade100/status/790562279993532417

Man denke an die industrielle Revolution, in der Maschinen die Aufgaben der körperlich Arbeitenden übernommen haben. Wir beobachten den gleichen Trend derzeit im Rahmen der Revolution der künstlichen Intelligenz (KI). KI ersetzt Büro- und Facharbeiter. Und im Moment ist noch nicht klar, woher die neuen Jobs kommen sollen.

(Schauen Sie nächste Woche vorbei für die letzte Folge unserer zweiteiligen Serie, in der wir untersuchen, wie digitale Disruptoren sich mit ihren eigenen Waffen schlagen lassen.)